Entgegnung auf R. Breyers „Mithras der Nachthimmel? Auseinandersetzung mit Maria Weiß" in KLIO 83 (2OO1) 1, 213 – 218.
„Mithras der Nachthimmel? Auseinandersetzung mit Maria Weiß“ war der Titel einer Theoriekritik von R. Breyer, die durch die Aufnahme in KLIO mit einer Beachtung rechnen durfte, die sie nicht verdient hat. Gegenstand war ein Aufsatz in Traditio 53 (1998) 1 – 36 von Maria Weiß mit dem Titel: Mithras der Nachthimmel – eine Dekodierung der römischen Mithras-Kultbilder mit Hilfe des Awesta. Die Weiß'sche Deutung des römischen Mithras als gestirnter Nachthimmel, der mit Sol, der Sonne im Taghimmel, eine duale Einheit, das Universum Sol Mithras bildet, hat, als Breyer seine Kritik veröffentlichte, bereits in vier Publikationen vorgelegen[1],die sich durch andere Akzentsetzung, durch einen je neuen Erkenntnisstand und in einem Fall durch Verzicht auf die Herleitung aus der awestischen Quelle unterschieden. Von diesen hat Breyer offensichtlich nur den Traditio-Artikel gelesen; und auch den, wie er des Öfteren erkennen lässt, nicht ohne Voreingenommenheit in eine bestimmte Richtung. Damit und mit seinen zahlreichen Fragen, die einzig dem Zweck dienen sollten, in Zweifel zu ziehen, was nicht angreifbar und erst recht nicht widerlegbar ist, verstößt er gegen die Regeln seriöser Kritik.
Im folgenden werden Breyers Einlassungen gegen die Weiß'sche Mithrastheorie abschnittweise abgehandelt. Unberücksichtigt bleiben dabei seine eigenen Deutungsversuche und religionsgeschichtlichen Exkurse sowie die wohlmeinenden Ratschläge an die Autorin und die Forschung im allgemeinen, wofür er das Forum, das er erhalten hat, überproportional nutzt.
213, Anm. 2 findet er den mit der Bewegungsrichtung des Stiertöters begründeten Einwand gegen einen solaren Charakter des Mithras (Nachthimmel 2) nicht überzeugend, weil links - rechts auf den Kultbildern „vereinfachend“ mit Ost - West gleichgesetzt werde. – Dieser erste Vorwurf ist exemplarisch für Breyers Kritik. Da alle Gestirne sich bei ihrem sichtbaren Umlauf auf der Nordhalbkugel von links nach rechts bewegen und dabei im Osten aufgehen und nach Westen wandern, ist links - rechts auf den Kultbildern = Ost-West. Dieser Auffassung liegt außerdem das templum der Auspikation zugrunde. Auch die Richtungsangaben im Timaios definieren sich so[2].
Ebenfalls in Anm. 2 spricht Breyer von poetischer Eloquenz, wenn epitheta des awestischen Mithra zitiert werden wie „schlaflos“, „immer wach“, „der in der Finsternis Wache,“ (Nachthimmel 12) und er fragt allen Ernstes, „was bitte tut Mithra, wenn es so ist, am Tage?“ – Mit dieser Frage disqualifiziert sich Breyer erneut; ist doch Mithras immer die um die Erde wandernde Nachtseite des Himmels (im alten Weltbild!), der die Tagseite mit Sol gegenüberliegt.
214, Anm. 8 bezeichnet Breyer die Belege, die Weiß für Mithras = gestirnter Nachthimmel anführt, als „bemüht“ und beruft sich dabei auf deren Neuinterpretation der Fackelträger. – Tatsache ist, dass hier (Nachthimmel 2/3) nur die bisherige Deutung der Dadophoren innerhalb der Sonnentheorie[3] anhand ihrer Stellung zu Mithras entkräftet wird: Sie können nicht Begleiter oder Entfaltungsstufen des Mithras = Sonne sein. Mit keinem Wort werden die Fackelträger oder auch nur einer von ihnen als Beleg für die Nachthimmeleigenschaft des Mithras reklamiert; in den vorgenannten Veröffentlichungen, die Breyer nicht gelesen hat, werden sie ganz um ihrer selbst willen, als Zodiakhälften der längeren Tage (Frühling / Sommer) und längeren Nächte (Herbst / Winter) behandelt.
Die „Identifikationen Sonne und Nachthimmel“ passen Breyer nicht – 214 unten. Man begehe einen „methodischen Fehler“, wenn man Mithras als Nachthimmel bezeichne, wo dieser doch nur ein Aspekt von Mithras sei.[4] – Jeder, der die Weiß'sche(n) Studie(n) aufmerksam und unvoreingenommen liest, wird merken, dass sich vor allem anderen die Nachthimmeleigenschaft des Gottes und seine epigraphisch belegte Partnerschaft mit Sol im Taghimmel in der Ikonographie wie ein roter Faden verfolgen lässt. Hier sei nur auf die Szenen von Sol und Mithras verwiesen (,in denen die beiden in einer Beziehung gezeigt werden, die dem jahreszeitlichen Verhältnis von Tag und Nacht entspricht,) und auf eine in den Kultbildern sichtbar werdende Komplementarität innerhalb des Kosmos[5], dessen einer Teil ja unbestritten Sol, die Sonne im Taghimmel, ist. Bilder wie das von Vercovicium[6],die Ashmolean-Brosche[7] u. a .m. zwingen zur Annahme, dass auf ihnen eine kosmische Zweiteilung, ein Vis-a-vis, zur Darstellung kommt. Mit der Identifizierung des Mithras als gestirnter Nachthimmel wurde eine Erschließung der Ikonographie bis in Details möglich, die bisher als rätselhaft galten. Es ist somit der Nachthimmelaspekt, der Mithras zu einem Schlüssel werden lässt, der zu passen scheint. Jedenfalls hat man bisher keinen besseren gefunden. Dass die Ikonographie das einzig verlässliche und allgemein anerkannte Kriterium für die Identität des Mithras ist, wird Breyer wohl nicht bestreiten. Nur auf diesem Feld lässt sich eine wie auch immer geartete Identität des Gottes verifizieren bzw. widerlegen[8].
215 (oben) nennt Breyer es eine „haarspalterische Interpretation der Überlieferung“ (welcher?), dass ausgerechnet der Dunkelteil der dualen Einheit Sol Mithras als Namensgeber und Zentralfigur des Kults fungieren soll. – Die Überlieferung, die wohl die einzig annähernd authentische ist, das Awesta, gibt wie heute noch der ganze Orient eben der Nacht Priorität vor dem Tag (Nachthimmel 11[9] ); ebenso Hesiods Theogonie, in der die Nacht den Tag erst gebiert. (Und damit hat Breyer auch die Antwort auf seine zweifelnde Frage, ob der „Nachthimmel überhaupt als personales Subjekt vorstellbar ist“. – Er ist sogar eine Gottheit!) Auch im Wort Äquinoktium drückt sich ja noch ein Vorrang der Nacht aus, ob es einem nun gefällt oder nicht[10].
215, ders. Abschn. – Im awestischen Dual Ahura Mithra bzw. Mithra Ahura will Breyer das Glied Ahura nicht unbedingt als Verkürzung von Ahura Mazdah verstehen, weil „Ahura“ auch einfach „Herr“ bedeute und ein Göttertitel sei. – Wie aus dem Vers Yasht 10, 145 ersichtlich (Nachthimmel 9), kommen „Mithra und Ahura, die beiden Himmelslichtigen", getrennt als zwei Personen vor, die durch ein „und“ verbunden sind. Ein etwa zugeordnetes Verb steht dabei im Singular (und nicht wie zu erwarten im Dual), um die Einheit der beiden mit „und“ verbundenen Glieder zu dokumentieren[11].
In einem seiner eingestreuten Eigenbeiträge – 214 oben – stellt Breyer die Behauptung auf, dass Mithra als „Vertrag“ ein „abstrakter Gott“ gewesen sei, die Ausführungen in Nachthimmel 23/24 ignorierend. Der Vers Yt.10,2[13] zeigt jedoch, dass diese Auffassung unrichtig ist. Es ist indessen müßig, sich weiter mit Breyers irrigen und in keinem Fall belegten Äußerungen über das Awesta zu befassen. Da die Weiß'sche Theorie der Stütze, die sie nebenbei im Awesta hat, auch entraten kann [14], wird sie davon nicht berührt, und Breyer hätte sich seinen Hinweis auf den Kongress von Manchester und das damals verhängte Denkverbot in Richtung Iran sparen können[15].
215, Abschn. 2 und 3 wird die Deutung der mythischen Mondflucht – wie sie allgemein in den Kleinbildern von Mithras mit dem Stier gesehen wird – als Flucht in den Taghimmel (Nachthimmel 28 / 29) mit den ebenso lapidaren wie unverständlichen Worten abgetan: „.und dem ist nicht so. Der Stier flieht; das Wohin spielt dabei keine Rolle, da er ohnehin nicht weit kommt.“ – Was hier von Breyer brutal „erschlagen“ wird, ist das Kernmythem des Kults. Mythen sind nach heutiger Auffassung Naturallegorien, die wichtige Naturereignisse legendenhaft erklären wollen. Folglich kann sich in der Flucht des Mondstiers nur die allmonatliche Abwanderung des Mondes aus dem Nachthimmel in den Taghimmel widerspiegeln, seine abnehmende Phase also, wobei er schließlich im Akt der Konjunktion[16] unsichtbar gemacht – im Mythos heißt das getötet – wird. Da der Neumond, obwohl Taghimmelereignis, nur am Nachthimmel wahrnehmbar ist – dieser nur ist mythologisch verstanden anwesend, wenn der Mond verschwindet – tritt der Nachthimmel Mithras als Töter auf. Es gibt Bilder, die eine andere Deutung der Stiertötung schwerlich zulassen[17]. Die oben zitierte skurrile Äußerung Breyers kann entweder bedeuten, dass er ohne das nötige Wissen um die Vorgänge am Himmel die Überzeugungskraft dieser Deutung gar nicht erkennen konnte oder dass er die Gleichung von Stier und Mond ablehnt. Im letzten Fall hätte man eine Begründung von ihm erwartet!
Abschn. 4 bedarf ebenfalls einer Richtigstellung. Niemals stellen für die Autorin alle „Randbilder einen Zyklus dar, in dem die verschiedenen Phasen des Verhältnisses von Tag und Nacht ihren Ausdruck finden“. Was Breyer meint, sind ganz speziell die oben bereits erwähnten Sol-Mithras-Szenen als jahreszeitliches Verhältnis von Tag und Nacht, die Vertragsszenen, denen (Nachthimmel 23) ein eigenes Kapitel (5) gewidmet ist. Mit seiner irreführenden Aussage bei so eindeutigem Sachverhalt stiftet Breyer Verwirrung und unterschlägt ein Stück Plausibilität, indem er die Interpretation gerade der Szenen entwertet, die anerkanntermaßen zwingend die Komplementarität von Sol und Mithras erheischen. Der Zyklus ist nicht immer vollständig[18]. Hier gilt pars pro toto, wie auch sonst manchmal in der mithrischen Ikonographie. Der gleichen Entstellungstaktik bedient sich Breyer – 215 Abschn. 2 – wenn er einen von der Autorin selbst erhobenen hypothetischen Einwand (Nachthimmel 30) zwar wörtlich zitiert, ihre Entkräftung dieses Einwandes aber, um das Wichtigste gekürzt, mit eigenen Worten wiedergibt und gegen sie verwendet.
216 Abschn. 2 wirft ihr Breyer vor, sie verallgemeinere den Befund von Sette Sfere, wie denn Verallgemeinerung überhaupt in der Mithrasforschung, Ausgräber eingeschlossen, zu beobachten sei. Es geht hier um die Umkehrung der Fackelsymbolik (erhobene Fackel = Nacht, gesenkte = Tag) die Weiß in Sette Sfere bestätigt sieht (Nachthimmel 15). – Ein unvoreingenommener Betrachter wird eine Figur mit einer erhobenen Fackel schwerlich anders deuten als sie. Die Figur kann also grundsätzlich, und daran ist wohl nicht zu rütteln, als Leuchter in der Nacht, als Symbol für die Zeit der längeren Nächte gelten. Wenn sie nun bei Vorhandensein eines Zodiaks im Kultbild unter den Tierkreiszeichen der längeren Nächte, also den Herbst- und Winterzeichen, steht, dann wird diese Auslegung weiter erhärtet und fast schon belegt wird sie durch den Umstand, dass die Figur den gelegentlichen Seitenwechsel der Zodiakhälften im Kultbild mitmacht, sich also direkt mit dieser Himmelshälfte der längeren Nächte identifiziert[19]. Hinzu kommt, dass sie fallweise durch Eule oder Nachtigall ersetzt wird und dass sie in Sette Sfere den Sitzpodien mit den Zeichen für Herbst und Winter zugeordnet ist. Analoges gilt für das Pendant mit der gesenkten Fackel. Man kann also keinesfalls von einer Verallgemeinerung des Befunds von Sette Sfere sprechen. Es hat wohl keine andere Deutung der Dadophoren so viele Hinweise zu ihren Gunsten wie diese.
Auch Breyers Schelte, dass sich die Autorin nicht mit Ulanseys Theorie auseinandersetzte – 215 unten – ist unbegründet [20]. Beiträge in wissenschaftlichen Reihen sind fast immer auf eine bestimmte Anzahl von Wörtern begrenzt und deshalb müsste jeder, der in diesem Metier arbeitet, Verständnis dafür haben, dass Autoren sich nicht in jedem Aufsatz des langen und breiten über die Thesen anderer auf Kosten der eigenen auslassen können.
Diese Entgegnung könnte nun Abschnitt für Abschnitt so weitergehen. Man wird es deshalb verstehen, dass nicht jeder, die Weißsche Theorie ohnehin nicht treffende Einwand hier abgehandelt wird oder gar Breyers anfechtbare bzw. falsche Ansichten zurechtgerückt werden.
a) Maria Weiß, Als Sonne verkannt, Mithras. Veröffentlichungen des Historischen Vereins Bauland 1 (Osterburken 1996).
b) Dies., Mithras der Nachthimmel – eine Dekodierung der römischen Mithras-Kultbilder mit Hilfe des Awesta (im folgenden “Nachthimmel“) Traditio 53 (New York 1998) 1 – 36.
c) Dies., Kultbilder des Mithras im Licht eine neuen Deutung unter besonderer Berücksichtigung des Reliefs von Mannheim (im folgenden „Kultbilder“). Mannheimer Geschichtsblätter NF 7 (Mannheim 2000) 11 – 57.
d) Dies., Der Mithraismus als Auferstehungsreligion – ein Heilsangebot der römischen Kaiserzeit (im folgenden „Mithraismus“). In: Vomer-Gojkovic (ed.), Ptuj im Römischen Reich. Mithraskult und seine Zeit. Archaeologia Poetovionensis 2 (Ptuj 2001) 251 - 267.
[2] Im Übrigen s. R.Beck, In the Place of the Lion, Mithras in the Tauroctony. Studies in Mithraism (1992) 43.
[4] Zu den unterschiedlichen Aspekten des Mithras s. Nachthimmel (Anm. 1b) 12 – 34! Auf S.35 liest man als Schlussfolgerung: Ein Zusammenwirken mit Sol, dem kosmischen Gegenüber, ist auch bei allen als reine Naturerscheinungen auftretenden Gestalten (=Aspekten) des Mithras anzunehmen.
[5] Vgl. den von R .L. Gordon geprägten Begriff „opposition in unity!“
[8] So wird D. Ulanseys Theorie schon allein dadurch widerlegt, dass es mindestens zwei Kultbilder gibt (CIMRM 1275 Mannheim und CIMRM 334 Rom), die den Stier, also Ulanseys Sternbild Taurus, im Sternbild des Löwen zeigen (Sol steht im leo) – ein absolut unlösbarer ikonografischer Widerspruch.
[9] Im übrigen spielt die Dunkelheit in dieser Tradition keine Rolle. Mithra strahlt ja von hvarenah.
[10] Eine Überlieferung, aus welchen Quellen auch immer, dass die Mithrasdiener nächtlicher Weile zusammenkamen, ist heute fast aus dem Bewusstsein verschwunden.
[11] Johannes Hertel, Die Sonne und Mithra im Awesta, Indo-Iranische Quellen und Forschungen, Heft 9 (Leipzig 1927) 241 - 42.
[15] Es ist eine Verhöhnung der freien Forschung, wenn man ihr ein Korsett anlegt wie in Manchester geschehen, und es spricht vor allem gegen denjenigen, der dieses auch noch einfordert. In seinem Beitrag „Persei sub rupibus antri“ zu Ptuj im Römischen Reich (vollst. Titel Anm. 1d) 292 räumt R.L. Gordon inzwischen ein, dass die Forscher in ihrer Reaktion auf Cumont zu weit gegangen seien und dass es bisher am Dialog zwischen Orientalisten und klassischen Altertumswissenschaftlern gemangelt habe.
[16] Das ist das Neumondereignis, wenn der Mond bei seinem Umlauf um die Erde den Längengrad passiert, in dem die Sonne steht, und sich ganz auf der Tagseite aufhält.
[17] Beispiele sind die Szene auf der Ashmolean - Brosche und das erwähnte Kultbild von Mannheim.
[20] Weiß, Rez. David Ulansey: Die Ursprünge des Mithraskults. In Jan Assman u.a. (Hrsg.), Archiv für Religionsgeschichte 3 (München, Leipzig 2001) 320 – 22. Und Weiß, Die Stiertötungsszene der römischen Mithrasaltäre - Schöpfung, Endzeitakt, Heilstat oder Sternkarte (Tauberbischofsheim 1994) 40 - 43.